Lesung mit Musik

am Dienstag, 15. Oktober 2024, 19.00 Uhr,

in der Aula des Karl-Friedrich-Gymnasiums

 

Die Besucher dieser Veranstaltung dürfen auf einen sehr intensiven und beeindruckenden Abend zurückblicken, der trotz der Aula einen fast intimen Rahmen hatte. Aus mehreren Gründen war es eine besondere Veranstaltung. Das hing damit zusammen, dass es um das schlimmste und folgenreichste kriegerische Einzelereignis der Menschheitsgeschichte ging, den Atombombenabwurf durch die Vereinigten Staaten auf Hiroshima vor gut 79 Jahren. Daneben war das Format ein Besonderes: Der Hiroshima-Überlebende Shigemi Ideguchi hat über seine Erlebnisse ein berührendes Buch geschrieben, das von seiner heute hier auftretenden Enkelin Rima Ideguchi und ihrem Ehemann Fabian Liedtke ins Deutsche übersetzt wurde. Herr Liedtke las aus der deutschen Übersetzung vor, Frau Ideguchi trug in einem kurzen Vortrag aus dem japanischen Original vor und spielte ansonsten drei Stücke auf ihrer Posaune. Die Wirkung der Musik war dabei eine doppelte und widersprüchliche: Zum einen half sie, das Gehörte zu verdauen, zum anderen schuf sie einen emotionalen Raum, in dem das Gehörte noch stärker nachhallte. In jedem Fall war die Kombination von Musik und Lesung ansprechend und faszinierend. Es kam aber noch etwas Drittes hinzu, das den Abend zu einem Besonderen machte: Nur vier Tage zuvor war in Oslo verkündet worden, dass die japanische Organisation Nihon Hidankyo den diesjährigen Friedensnobelpreis bekommt. Die Organisation wurde von Überlebenden der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki gegründet und setzt sich für nukleare Abrüstung ein – ein Thema, das gerade jetzt wieder neue Bedeutung erlangt. Diese zeitliche Koinzidenz ist natürlich ein Zufall. Die Besucherinnen und Besucher haben es aber als ein gutes Omen für den Abend gesehen.

Der Abend kam zustande aufgrund der Vermittlung von Herrn Recknagel und wird unterstützt vom Förderverein. Dafür sind wir sehr dankbar. Insbesondere danken wir aber den beiden Künstlern, die den Weg zu uns auf sich genommen und sich auch in der anschließenden Diskussion den teils sehr persönlichen Fragen des Publikums gestellt haben.

Alexander Sauter

Shigemi Ideguchi
Singvögel und Raben waren auch nicht mehr da
Bericht aus dem Zentrum der Atombombenexplosion

 

Schwestern bewegten sich wie Samen des Löwenzahns, Nachtwandlerinnen gleich, zwischen ihren am Boden liegenden Kolleginnen, wie Geister zwischen umgeworfenen Grabsteinen. Manche blieben, vielleicht erblindet, stehen, manche bewegten sich orientierungslos auf der Stelle. Keine hatte die Kraft, den anderen zu helfen. Keine weinte oder schrie. Bis gerade waren sie noch in Reih und Glied marschiert, nun waren sie wie Grashüpfer überall verteilt.
Das waren Höllenbilder ohne Höllenlärm.
Das waren Höllenbilder in angstvoller Stille.

 

 

Shigemi Ideguchi (1919-2001) hat den Atombombenabwurf am 6. August 1945 auf Hiroshima aus nur 500 Metern Entfernung erlebt und überlebt. Er hielt seine Erinnerungen in einem Tagebuch fest. Der Autor schildert nicht nur die Zerstörung von Gebäuden und Natur, sondern auch die Auswirkungen der atomaren Verstrahlung auf Körper und Seelen der Opfer. Angesichts der zähen Verhandlungen über die Eingrenzung der Verbreitung von Atomwaffen hat dieses Buch nach wie vor nichts an Aktualität verloren.

Shigemi Ideguchi studierte Jura in Osaka und Tokyo. Im Zweiten Weltkrieg wurde er zum Dienst als Soldat in die Kaiserliche Japanische Armee einberufen. Am 6. August 1945 erlebte er aus nächster Nähe den Atombombenabwurf auf Hiroshima. Seine sehr persönlichen Eindrücke und Erinnerungen an dieses Ereignis und seine Auswirkungen veröffentlichte er 1989 in Japan.

Rima Ideguchi, geboren und aufgewachsen in Kyoto, kam 1998 zum Studium mit Hauptfach Posaune nach Deutschland. Unterrichtet wurde sie sowohl an der HfM Detmold, Abt. Dortmund, als auch an der Folkwang Universität der Künste in Essen. Nach mehreren Stationen in verschiedenen Orchestern erteilt sie Posaunenunterricht im Musikprojekt der Rudolf-Steiner-Schule Bochum- Langendreer und an der Technischen Universität Dortmund.

Fabian Liedtke hat an der HfM Detmold Abt. Dortmund Posaune studiert. Er unterrichtet an der Musikschule Bochum.

Anlässlich des 70. Jahrestages des Bombenabwurfs haben die Enkelin des Autors, Rima Ideguchi, und ihr Ehemann Fabian Liedtke das Buch ins Deutsche übertragen und seit 2015 bundesweit zahlreiche Lesungen veranstaltet.